Deutsche Nachkriegswochenschau - ein Blog von Sigrun Lehnert

Forschung, Modernisierung

Zwischen Wiederaufbau und Bau-Visionen

Pavillon der USA in NDW Nr. 430 vom 25. April 1958

Architektur, Bauen und Wohnen in der ost- und westdeutschen Kino-Wochenschau

Durch die filmischen Elemente, die Struktur der Ausgaben und die regelmäßigen Berichte über den Wiederaufbau der Städte werden die Wochenschaufilme zur Gesamterzählung der architektonischen Entwicklungen in den 1950er-Jahren. Einerseits werden in den Beiträgen europäische Bautraditionen aufgezeigt, andererseits in Sujets über Weltausstellungen modellhaft „Städte von morgen“ in den Blick genommen (Abb. amerikanischer Pavillon in Brüssel, NDW Nr. 430/1958). Wie ist es den Kameramännern und Cuttern gelungen, dem Publikum Großbauten beeindruckend zu präsentieren und somit die Aufbauerfolge nahezubringen? Beispielsweise werden Untersichten oder Luftaufnahmen und selbst Nachtaufnahmen von beleuchteten Gebäuden eingesetzt, aber auch ein subjektiv geführter Kamerablick in das Innere gewährt, um z.B. die Bequemlichkeiten des neuen Wohnens zu präsentieren. Dabei entsteht ein Spiel mit Einstellungsgrößen, Überblendungen und ungewöhnlichen Perspektiven, die Gebäude-Elemente plastisch werden lassen. Die unterlegte Musik der Filme korrespondiert nicht nur mit dem (modernen) Image, das die Architektur vermitteln sollte, sondern spiegelt auch das Lokal- und Zeitkolorit.

Die DEFA-Wochenschau Der Augenzeuge zeigt die Stalinallee (bereits im Intro), die britisch-amerikanische Welt im Film den Kurfürstendamm und die Ufa-Wochenschau das Hansaviertel. Prestigeobjekte – besonders in Berlin – werden in als Beweis für eine gelungene Politik bzw. die ‚bessere‘ Ideologie hervorgehoben. In Der Augenzeuge tritt die Anlehnung an Vorbildern wie VR Polen und der UdSSR stark hervor:  Beispielsweise kommen Kollegen, um den Deutschen ihre Arbeitsmethoden zu zeigen und noch schneller, billiger und besser u.a. mit Fertigteilen zu bauen. Während  in der DDR das Nationale Wiederaufbauprogramm die Menschen zur (freiwilligen) aktiven Mitarbeit animieren sollte, berichtete die westdeutsche Wochenschau explizit von Projekten, die aus Marshallplan-Mitteln geschaffen wurden, aber auch von Selbsthilfe-Aktionen.

Die Filmberichte spiegeln zudem den Wandel der Baukultur: War man Ende der 1950er-Jahre noch von Häusern in Fertigbauweise überzeugt, regt sich in Westdeutschland bis Mitte der 1960er-Jahre Kritik an der kastenartig-abstrakten Nachkriegsarchitektur. Die Wochenschau fordert Alternativen und stellt Visionen von gesundem Leben in Räumen und Gebäuden vor, die menschlichen Bedürfnissen nach Ruhe und Komfort entgegenkommen.

Der Beitrag kann den Anteil der Wochenschau als Filmerzählung über Architektur, Bauen und Wohnen in der Konkurrenz von Ost und West darlegen. Dabei werden Erzählstrukturen, Cues für Zuschauer (neoformalistische Filmanalyse, Kristin Thompson, 1995) sowie Einflüsse auf die Darstellungsweise, z.B. Aufnahmebedingungen, aufgezeigt.

Passt der Beitrag für eine nächste Tagung, einen Workshop?
Anregungen, Hinweise?
Leave a reply – make a comment!

Schreibe eine Antwort