Deutsche Nachkriegswochenschau - ein Blog von Sigrun Lehnert

Kontinuität, Konzeption, Symbolik

Authentisch oder Fake?

NDW 669

'Werbespot' in NDW Nr. 669 vom 23.11.1962

Authentische Darstellung neuer Praktiken in der Wochenschau

Die Wochenschau Welt im Bild  Nr. 118 vom 28. September 1954 zeigt, dass in England Wäsche mit Ultraschall rein wird: Eine Frau stellt ein Ultraschallgerät in Wäsche, legt sich auf Sofa, raucht Zigarette und liest. Nach kurzer Zeit schaltet sie Gerät aus und nimmt Wäsche sauber aus dem Wasser. Verblüfft sieht man den Wochenschau-Bericht und fragt sich, ob dieser tatsächlich aus den 1950er-Jahren stammt. Bei Zweifeln dieser Art ist man gut beraten, auf das Ausgabedatum zu schauen. Wenn es um den 1. April liegt, ist anzunehmen, dass es sich um ein April-Scherz-Sujet handelt – eine Tradition, die die Wochenschau pflegte. Ist aber am Ausgabedatum nichts Auffälliges zu beobachten, dann könnte es sich auch um Ergebnisse einer der vielen Erfindermessen handeln, die z.B. leuchtende Manschettenknöpfe hervorgebracht hat. Die Werbespots in Neue Deutsche Wochenschau (NDW) Nr. 669 vom 23. November 1962 sind allerdings ‚Fake‘, wie die unprofessionelle Verpackung des gezeigten Fantasie-Produkts nahelegt (vgl. Abb.).

Was diente dazu, auf rasche Weise – in vielleicht nur einer Minute pro Beitrag – die Zuschauer zu überzeugen, dass das, was sie gerade sehen, echt und wahrhaft existent ist? Die filmischen Mittel und Materialien waren vielfältig: Überblendungen, Animationen, Karten – oder auch Einblenden von Zeitungsschlagzeilen und Fotografien. Grafiken in Zwischentiteln und Rubrikentitel sowie Erkennungsmelodie der Rubrik bereiteten die Zuschauer auf die kommende Story vor und erleichterten das Verständnis bereits von der ersten Sekunde an. Zusätzlich halfen Statisten bei der ‚Verwirklichung‘ der Illusion.

Und es stellt sich die Frage, wie und warum die Wochenschau die Zuschauer einmal an der Nase herumführte und das andere Mal an neuesten hochtechnologischen Entwicklungen teilhaben ließ. Der Wochenschau ging es u.a. um die Attraktion aber auch um die Darstellung der eigenen Modernität als Massenmedium und Präsentation ihrer filmischen Möglichkeiten und fotografischen Leistungen, worin sie ihren Ursprung sah. Es ging auf der einen Seite um Unterhaltung und auf der anderen Seite um die Präsentation des Fortschritts, des modernen Lebens und wie das Deutschland der ‚Wirtschaftswunderzeit‘ daran teilhatte und teilnahm. Im ‚Kalten Krieg‘ ging es zudem darum, sich mit der westlichen Seite verbunden zu zeigen: Was hatte die freie Welt zu bieten und welche wahren Vorteile aus dem westlichen Bündnis konnten in Deutschland Realität werden?

Zahlreiche Beispiele ermöglichen die Kategorisierung der Mittel und Transfer zur gesellschaftlich relevanten Authentizität. Im Zeitalter der ersten Weltraumflüge und Automatisierung konnte es durchaus sein, dass zwar mit Filmtrick nachgeholfen wurde, die Darstellung jedoch noch heute für uns authentisch ist. In der Wochenschau Die Zeitlupe  vermittelte die Rubrik „Die Welt von morgen“ verblüffende moderne Praktiken: z.B. in Nr. 812 vom 17. August 1965 mit der neuen automatisierten und serviceumfassenden Arbeitswelt im Unilever-Konzernsitz in Hamburg. Auch die unterlegte Musik war futuristisch und wurde der Weltraum-Zeit gerecht: „Sterne in Brand“ von S. Franz, eine spezielle Komposition exklusiv für die  Wochenschau erstellt und die Erkennungsmusik für die Rubrik „Die Welt von morgen“. Man träumte sich in den Weltraum – ohne aufzuhören, nach Authentizität zu verlangen. Hier standen die Wochenschauen in der Konkurrenz zum Live-Fernsehen.

Der Beitrag zu diesem Thema ist erschienen bei Visual History
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