Deutsche Nachkriegswochenschau - ein Blog von Sigrun Lehnert

Arbeit

Arbeit und Freizeit in der Kino-Wochenschau

NDW 196 Arbeiter und Adenauer

Howaldt-Arbeiter beim Besuch von Adenauer in NDW 196 vom 28.10.1953

Arbeit und Freizeit in den  1950er/60er Jahren (West-Ost)

Woher kommt das Bild des ‚fleißigen Deutschen‘, der durch eigene harte Arbeit das ‚Wirtschaftswunder‘ der Nachkriegszeit vollbracht hat? Welche medialen Diskurse konnten so prägend wirken? Unbestreitbar haben Filme als Komposition aus laufenden Bildern, Originalton, Musik, Sprache und Stimme eine hohe emotionale Wirkung (vgl. Abb. NDW 196). Bevor sich das Fernsehen als Massenmedium in Deutschland etablieren konnte (Ende der 1950er Jahre in Westdeutschland, Anfang der 1960er Jahre in der DDR), bestimmten die Wochenschauen in Kino-Vorprogramm mit ihrer Mischung aus Information und Unterhaltung im In- und Ausland das Image der geteilten deutschen Nation. Zugleich erhielten die Menschen ein neues Selbstverständnis (‚Wir sind wieder wer!‘) und es galt, in West wie in Ost, die arbeitende Bevölkerung zu motivieren. Neben der gebotenen Information über die Fortschritte des wirtschaftlichen Aufschwungs (West) bzw. Aufbau der sozialistischen Arbeitergesellschaft (Ost) wurde diese Motivation durch den unterhaltenden Teil der Kinowochenschau gefördert – z.B. mit Berichten über kulturelle Veranstaltungen, neue Freizeitattraktionen, Urlaubs- und Erholungsgebiete in Stadt und Land.

Nach dem Zweiten Weltkrieg existierten in Westdeutschland mehrere Wochenschau-Produktionen als Nachfolgeproduktionen der alliierten Besatzungswochenschauen. Die Neue Deutsche Wochenschau (NDW) dagegen wurde erst Ende 1949 mit Initiative des Bundespresseamtes in Hamburg gegründet, das die kostspielige Produktion durch Bundesgelder unterstütze. Im Osten Deutschlands wurde als einzige die staatlich gelenkte Produktion Der Augenzeuge gezeigt.

Für die mediale Auseinandersetzung in der Neuen Deutschen Wochenschau mit dem Thema Arbeit und Freizeit bieten sich folgende Aspekte an, die divers durch filmische Mittel dargestellt sind:

  1. Aufbaujahre: Hausbau mit Eigenleistung in der Freizeit und neue Maschinen in den Fabriken mit steigender Unfallgefahr
  2. Neue Arbeitswelt: Fortschrittliche Arbeitsbedingungen im amerikanischen Stil
  3. 5-Tage-Woche und Schwarzarbeit: Was tun am arbeitsfreien Samstag?
  4. Phänomene der Vollbeschäftigung: Jugendliche arbeitslose ‚Streuner‘ und Gastarbeiter
  5. Klassisches Freizeitvergnügen und neue Trends: Rummelplatz, Zoo und Do-it-yourself

Im Vergleich mit der ostdeutschen Wochenschau Der Augenzeuge werden die starken Gegensätze in der Betrachtung von Arbeit und Arbeiter deutlich: ‚Helden der Arbeit‘ oder Arbeits-Kollektive im Osten vs. konkurrierende Gesellschaft im Westen.

Zwei Ansätze sind für die Wochenschau-Forschung maßgeblich: Im Sinne des Ansatzes ‚Visual History‘ (Gerhard Paul, 2012) sind nicht nur statische Bilder als historische Quellen zu betrachten, sondern auch Filme. Die ‚New Film History‘ (Allen & Gomery, 1985) weist auf den Einfluss unterschiedlicher Faktoren auf die Filmherstellung hin – und so verwende ich für meine Analysen die unterschiedlichsten Materialien: neben den Filmen auch Protokolle von Aufsichtsratssitzungen der NDW, parteipolitische Beschlüsse und Produktionsunterlagen der Kameraleute. Nur auf diese Weise können die Intentionen hinter den Filmen hervortreten, die die Wahrnehmung des Arbeitslebens prägten – in einer Ära, die grundlegend für unsere heutige wirtschaftliche Situation war.

Das Thema wurde auf der Tagung „Ein ungleiches Paar. Arbeit und Freizeit in Industriegesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts“ am 23. Januar 2016, an der Universität Wien präsentiert.

Die Publikation ist erschienen bei Arbeit – Bewegung – Geschichte, Heft 1/2018
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