Nähe und Distanz durch die Kino-Wochenschau (1950-1965)
Die spezielle Ästhetik der Wochenschau, die sich seit den 1910er-Jahren entwickelt hatte, entfaltete nur im Kino-Dispositiv ihr Beeindruckungspotential. Die Wochenschau ging mit der Zeit: Auch neue Projektionstechniken wie CinemaScope wurden genutzt, um bei den Zuschauern das ‚Gefühl des Dabeiseins‘ zu verstärken. Während die Kinoleinwände wuchsen, wurde die Rezeption im privaten Raum wichtiger. Mit der Etablierung des Fernsehens wurde es für die Wochenschau wichtig, sich abzugrenzen und Produzenten probierten eine Annäherung die Ausführlichkeit des Dokumentarfilms aus. Das Publikum war jedoch an die traditionelle Ausrichtung des Formats gewöhnt: eine vielfältige Mischung aus dem In- und Ausland. Da die Wochenschauen in einem internationalen Austausch von Filmmaterial standen, war es möglich, mit Reportagen Distanzen zu überwinden und sogar hinter den Eisernen Vorhang zu blicken. Die deutsche Spaltung zwang aber auch dazu, Abstand zu halten. Berichte der westdeutschen wie der ostdeutschen Wochenschau zeigen Politiker an der Berliner Mauer und in Reportagen wird die desolate Situation von Grenzstädten entsprechend des Kalten Krieges anklagend demonstriert. Zuschauer in anderen Regionen sollten von dem ‚Hüben und Drüben‘ erfahren.
Staatsbesuche, die stets protokollarisch genau abliefen, wurden durch die Filmberichte ebenso schematisch abgebildet. Das zeigt sich in der Verwendung von Einstellungsgrößen: Einem Überblick in ‚totaler‘ Einstellung (z.B. das Konferenz-Gebäude) folgen Aufnahmen aus dem Konferenzraum mit Teilnehmern in halbtotaler Einstellung und einzelner Protagonisten in halbnah oder nah. Die Zuschauer bleiben unbeteiligte Beobachter, ganz anders die Kameramänner: An den Aufnahmeorten mussten sich die Kameramänner ganz unterschiedlichen Herausforderungen stellen.
Beispielsweise war es bei Schiffstaufen herausfordernd, die Superlative des Objektes abzubilden. Um nicht nur den majestätischen Bug in Untersicht zu zeigen, waren Kamerateams oft an abenteuerlichen Orten platziert. Da sich Kameramänner auch gegenseitig filmten, wurden die Zuschauer an solchen ‚Abenteuern‘ beteiligt (Abb. aus NDW Nr. 450/1958). Dabei waren die Kameras in den 1950er-Jahren noch schwer, die Nutzung tragbarer Geräte ermöglichte aber bald spontane Aufnahmen mitten aus dem Leben und nahe an den Menschen (z.B. Interviews mit Straßenpassanten). Die Zuschauer sollten sich ebenfalls mit den Protagonisten gespielter Szenen identifizieren, die ihnen humorvoll vorführen sollten, wie man Unfälle im Haushalt, am Arbeitsplatz oder im Straßenverkehr vermeidet. Die Figurenpaare zeigen moralisch belehrend die Gegensätze, das Vorher und Nachher einer gefährlichen Situation für sich selbst und andere. Am Beispiel der Wochenschau kann aufgezeigt werden, welche Räume der ‚realen‘ Welt durch die Filmberichterstattung konstruiert wurden, um dem Publikum eine Nähe zum Weltgeschehen oder ‚alltäglichen‘ Ereignissen zu vermitteln. Politik, nationale Identität und Technik spielten dabei eine große Rolle.
Der Beitrag wurde präsentiert auf der Konferenz „Nähe suchen, Distanz wahren: Konfiguration des filmischen Raums“, Universität Mainz, 17.-19. Januar 2019.
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