Politisch Verführte, Halbstarke, Streuner oder Aktivisten – was war Jugend?
Die Berichte der Nachkriegswochenschau zeigen, dass ein besonderes Augenmerk der jungen Generation galt.
Wie schaffte die Wochenschau durch ständiges Trennen und Vergleichen die Wertungen, die das Image ‚der Jugend‘ in der ost- und westdeutschen Nation geprägt haben können? Durch Auswertung der filmischen und schriftlichen Quellen wird darstellt, wie in denen die Wochenschauen in Bundesrepublik und DDR ‚die Jugend‘ der 1950er- und 1960er-Jahre (re-)präsentiert hat – und zwar in Verbindung mit Politik, Wirtschaft, Bildung, Freizeit, Kultur, sogar Militär.
Die NDW stellt die westdeutsche Jugend noch immer als ‚verführte‘ Opfer des Nazi-Regimes dar und interpretiert die Einbindung der DDR-Jugend in staatliche Kinder- und Jugendorganisationen, wie ‚Junge Pioniere‘ und ‚Freie Deutsche Jugend‘ (FDJ), als erneute politische Instrumentalisierung von ‚wehrlosen‘ Jugendlichen. Gleichzeitig äußerte sich Bundesfamilienminister Franz-Josef Würmeling in einer Rede mit Sorge über die westdeutsche Jugend und stellt die Frage, was sie einer „klar ausgerichteten“ DDR-Jugend entgegenzusetzen habe. Seinen Hauptkritikpunkt stellte die körperliche und seelische ‚Verausgabung‘ der jungen Leute in der Bundesrepublik beim Konsum und Rock’n’Roll dar ( vgl. Abb. Neue Deutsche Wochenschau Nr. 571 vom 5. Januar 1961).
Die Bilder des Ministers am Schreibtisch wechseln passend zu Bildern von tanzenden Jugendlichen, von jungen Mädchen auf einem Laufsteg, jungen Männern beim. Während die so Dargestellten als Teil der Konsumgesellschaft eingebunden schienen, deckte die Wochenschau eine andere Gruppe Jugendlicher auf, die durch die Lande zogen, in abbruchreifen Häusern übernachteten und als Arbeitslose und Alkoholabhängige in fragwürdigen Etablissements endeten. Die Kamera ist – ähnlich dem heutigen Reality-TV – dabei, wenn Polzisten die ‚Fehlgeleiteten‘ aufgreifen.
In der ostdeutschen Wochenschau Der Augenzeuge erfolgte die Darstellung der Jugendlichen ausschließlich als – selbst in der Freizeit – an Arbeit und Bildung interessiert, um ihre Fähigkeiten für ‚den Aufbau und den Sieg des Sozialismus‘ einzusetzen. Das „Gesetz über die Teilnahme der Jugend am Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik und die Förderung der Jugend in Schule und Beruf, bei Sport und Erholung“ trat am 8. Februar 1950 in Kraft. Zugleich wird die Arbeit von Jugendlichen in den Berichten der Wochenschau stark hervorgehoben und positiv bewertet: Beiträge zeigen Jugendliche bei der Verrichtung von teils schweren Arbeiten, wie Erdarbeiten oder Transport von Steinen. Der Kommentar betont gleichzeitig das Vergnügen an der Arbeit und die Dankbarkeit gegenüber der Regierung, die es der Jugend ermögliche, selbst aktiv mitzuarbeiten.
Die Struktur der Wochenschau schafft den persuasiven Kontrast: Einem Bericht über die vorbildliche Jugend in der DDR einen kontrastierenden Beitrag über Jugendliche in der Bundesrepublik vor- oder nachzuschalten, um das Wohlergehen der Jugend im Sozialismus deutlich hervorzuheben. Während die Jugend in der Bundesrepublik als herumlungernd und perspektivlos eingestuft wird, die deswegen in die DDR flüchtet, wird die Jugendarbeit als wichtiger Zweig der DDR-Wirtschaft präsentiert. Die Funktion scheint an dieser Stelle eindeutig: Die Wochenschau soll nicht nur Motivation durch öffentliche Aufmerksamkeit leisten, sondern auch eine Bindung der jungen Leute an den sozialistischen Staat befördern.
Die Bearbeitung des Materials folgt den Vorschlägen zu Methoden und Ansätzen u.a. der Visual History und Framing (vgl. entsprechende Rubrik dieser Website).
Das Thema wurde unter zwei Aspekten präsentiert:
- auf der Archivtagung des Archiv der Jugendbewegung, Burg Ludwigstein unter dem Titel „Jugend und Jugendbewegung im Kalten Krieg“
- auf der Tagung „Jugend, Musik und Film“ in Kooperation mit dem 13. Unerhört-Musikfilmfestival in Hamburg unter dem Titel „Jazz oder Rock’n’Roll: Musik und Jugend in der Kino-Wochenschau (Ost-West) 1950-1965“
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