Die Unfallstories der Kino-Wochenschau (1956-1967)
Als aktuelles filmisches Massenmedium hatten die Kino-Wochenschauen in den 1950er- und 1960er- Jahren in West- und Ostdeutschland nicht nur die Aufgabe das Publikum wöchentlich zu informieren, durch Präsentation dem staatlichen Image zu dienen, als Teil des Kinoprogramms zu unterhalten, sondern sie übernahmen – wie später das Fernsehen – eine Aufklärungs- bzw. Bildungsfunktion. Als Unternehmen mit teilweise staatlichem Auftrag waren sie zudem öffentlichen Interessen verpflichtet. Durch die hohe Zahl der Unfälle aufgrund des steigenden Autoverkehrs seit den 1950er-Jahren und steigende Zahlen bei Arbeitsunfällen aufgrund von Automatisierung und Mechanisierung wuchs die Sorge des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften in Bonn. Er gab in den Jahren 1956 bis 1967 Kurzfilme für insgesamt neun Staffeln mit jeweils 10-14 Folgen bei Gebrauchsfilmproduzenten und der Deutschen Wochenschau GmbH in Auftrag. Mit wechselndem und festen Figurenrepertoire und changierend zwischen realen und fiktionalisierten Szenen sollten sie die Entstehung und Folgen von Unfallgefahren in Betrieben, Haushalt und Straßenverkehr plastisch darstellten und zu einer Verhaltensänderung der Zuschauer*innen nachhaltig anleiten.
Gespielte Sketche zeigten unterschiedliche Gefahrenquellen und Beispiele falschen Verhaltens. Im Sinne einer Prävention wurden jedoch ausschließlich Negativfälle gezeigt, die oftmals ironisch ins Lächerliche gezogen wurden. Ein vorbildliches oder gefahrfreies Verhalten wird nicht angeboten.
Die Unfallstories von „Clever“ und „Schussel“ [1] der Herold Film[2] wurden nach Drehbüchern hergestellt und ab Mitte 1956 bis Mitte 1960 wöchentlich in allen vier westdeutschen Wochenschau-Serien eingesetzt, was die hohe Bedeutung des Unfallschutzes belegt. „Schussel“ ist die Figur des unvorsichtigen Kollegen, der die Ratschläge des Kollegen „Clever“ nicht beachtet, und dann die Folgen zu spüren bekommt. Der Kabarettist Walter Gross spielt „Schussel“ und Jupp Hussels „Clever“[3]. In der Ufa-Wochenschau Nr. 72 vom 11. Dezember 1957 streiten sich Clever und Schussel über herumliegende Rohrstücke, auf denen Clever fast ausrutscht. Er ermahnt Schussel, den Arbeitsplatz sauber zu halten, der aber will lieber in den Feierabend gehen und rutscht am Ende selbst aus (s. Abb. aus Ufa-Wochenschau Nr. 72).
In der ostdeutschen Wochenschau Der Augenzeuge hatten die Filme der Produktionsgruppe ‚Stacheltier‘ der DEFA die Aufgabe, auf Schwächen im Verhalten hinzuweisen und damit die Bevölkerung der DDR zu erziehen – der sozialistische Anspruch gegenseitiger Rücksichtnahme wird hier deutlich.
Die westdeutschen Unfallstories wurden in den 1960er-Jahren modernisiert, sowohl im Figurenrepertoire als auch in den Themen. Der Ton wurde zunehmend sarkastischer. Der Schauspieler und Kabarettist Günter Jerschke stellte darin in entsprechender Verkleidung einen Arzt oder einen Bestatter dar. Die drastischen Beispiele wurden gespielt oder mit Realfilm kombiniert. Sie endeten mit der Bemerkung Jerschkes: „…denn bei mir liegen Sie richtig“.
Die Unfallstories zum Thema Straßenverkehr waren auch in ausländischen Wochenschauen verbreitet. Französisches Filmmaterial in der Neuen Deutschen Wochenschau Nr. 440 vom 4. Juli 1958 zeigt (Herkunft: Pathé Journal) einen Mann, der verschläft und sich dann hastig durch den Straßenverkehr zur Arbeitsstelle begibt. Durch die Hektik passieren ihm besonders gefahrvolle Missgeschicke. Der dazu gesprochene deutsche Kommentar weist im Anschluss daraufhin, dass dieses Beispiel nicht nur für Paris gilt, sondern für alle großen Städte.
Unterschiedliche Formate und Aussageformen über die kleinen und alltäglichen Unfälle erlauben als Kinodarbietung jedoch keine tiefergehende Reflexion der Situationen. Zumindest in Bezug auf den Straßenverkehr wurde mit Der 7. Sinn im Fernsehen ab 1966 Jahre eine Entsprechung der Unfallstories gefunden.
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[1] Weitere Serien wurden mit unterschiedlichen Darsteller*innen unter dem Titel „Der gute Tip“ gezeigt.
[2] Herold Film, gegründet 1945 durch den Regisseur Eugen von Bongardt in Berlin-Halensee, Schriftwechsel mit Herold Film, Ordner Clever-Schussel Serie, NDW-Bestand, FFMH.
[3] Er spielte in der NS-Wochenschau in der Serie „Tran und Helle“ den positiven Part des „Helle“.
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